Freitag, 27. November 2009

Gedicht: Heinrich Seidel - November

Foto: Joujou/pixelio.de


Huh, seit heute Mittag sind's spürbar ein paar Grade kühler geworden. Zwei Tage vor dem 1. Advent wird das Wetter also doch noch herbstlich. Zeit für eine aromatische Tasse Tee und ein Gedicht von Heinrich Seidel (1842-1906).

Heinrich Seidel studierte Maschinenbau und arbeitete als Ingenieur. Unter anderem entwarf er die Hallenkonstruktion des Anhalter Bahnhofs in Berlin. Sein Motto lautete "Dem Ingenieur ist nichts zu schwer" - heute ein geflügeltes Wort. Mehr Wissenswertes über den Schriftsteller finden wir bei Wikipedia.de, bitte hier klicken.



November
von Heinrich Seidel

Solchen Monat muss man loben, keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdrießlich sein und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen, keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht! Ja, es ist 'ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter! Und die armen welken Blätter.
Weil sie tanzen in dem Wind und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn' Unterlass: Ja, das ist Novemberspaß!

Und die Scheiben, wie sie rinnen! Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelsstau, ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen: Wie sie pochen, wie sie klopfen!
schimmernd hängt's an jedem Zweig, einer dicken Träne gleich.

Oh, wie ist der Mann zu loben, der solch' unvernünft'ges Toben
schon im Voraus hat bedacht und die Häuser hohl gemacht;
so dass wir im Trocknen hausen und mit stillvergnügtem Grausen
und in wohlgeborg'ner Ruh solchem Greuel schauen zu.

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